Parlamentarischer Abend zur Zukunft der Globalen Gesundheit nach 2015
Hintergrund: Im September hat die so genannte Open Working Group (OWG) nach ihrem 13. Treffen der Generalversammlung der Vereinten Nationen ihren Bericht mit den Vorschlägen für die Ausgestaltung der Sustainable Development Goals (SDGs) – universell geltender, nachhaltiger Entwicklungsziele – vorgelegt. Zahlreiche staatliche und nicht-staatliche Akteure haben sich an diesem Prozess beteiligt und ihre Erfahrungen eingebracht. Der Entwurf sieht insgesamt 17 Ziele sowie 169 Unterziele vor, die weit über die Millenium-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals – MDGs) hinausgehen. Das dritte widmet sich der Gesundheit und zielt auf die „Sicherstellung von gesundem Leben und Förderung des Wohlbefindens aller Menschen jeder Altersgruppe“. Bis Ende des Jahres soll daraus sowie aus dem Bericht der internationalen Expertenkommitees zur nachhaltigen Entwicklungsfinanzierung (Intergovernmental Committee of Experts on Sustainable Development Financing – ICESDF) ein Synthesebericht entstehen. Auf Basis dieses Berichtes finden dann 2015 die eigentlichen Post 2015-Verhandlungen statt und sollen im September 2015 mit einem Gipfel abgeschlossen werden.
Die Nachhaltigkeitsziele können nur erreicht werden, wenn national und international ausreichende Mittel zur Verfügung stehen. Ein wichtiger Schritt ist deshalb ebenfalls die dritte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung, die im Juli 2015 in Addis Abeba stattfinden wird. Hier wird diskutiert, wie die Post 2015-Agenda finanziert werden soll.
Im Rahmen eines Parlamentarischen Abend unter der Schirmherrschaft von MdB Volkmar Klein diskutierten am 9. Oktober Mitglieder des Bundestages, Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung, von Nicht-Regierungsorganisationen, des Globalen Fonds sowie der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit über die Perspektiven der Globalen Gesundheit nach 2015 und die Finanzierung nachhaltiger Gesundheitsziele.
Bei den Teilnehmenden bestand große Einigkeit, dass Gesundheit Grundlage menschlicher Entwicklung ist – wie auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben – und dass die Anstrengungen in diesem Bereich mit hoher Priorität weiter fortgesetzt werden müssen.
Als auf Initiative Kofi Annans nur zwei Jahre nach Verkündung der MDGs – seinerzeit aufgrund der sehr konkreten Ziele ein absolutes Novum – der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria ins Leben gerufen wurde, war die Gesundheitssituation in Afrika vor allem aufgrund der Bedrohung durch HIV/Aids verheerend. Dank vieler effektiver Maßnahmen zum Erreichen der Gesundheits-MDGs wurden hier in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht, die Lebenserwartung in Afrika ist deutlich gestiegen. Dem Globalen Fonds kommt bei der Erreichung der MDGs und der Verbesserung der Gesundheitssituation in Entwicklungsländern eine zentrale Rolle zu – ohne sein Engagement wären viele Länder in Afrika als Konsequenz der AIDS-Pandemie heute failing states. Doch immer noch sterben Millionen von Menschen an den Folgen vermeidbarer und behandelbarer Krankheiten.
„Die Fortschritte sind deutlich, aber wir sind noch nicht da, wo wir hin wollen“, so Renate Bähr, Geschäftsführerin der Stiftung Weltbevölkerung. Dies bestätigt auch Dr. Ingolf Dietrich, Beauftragter der Sondereinheit Nachhaltige Entwicklungsziele/Post 2015 beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). „Die Anstrengungen im Gesundheitsbereich müssen weiter verstärkt werden. Die gesundheitsbezogenen MDGs müssen weiter verfolgt und sowohl quantitativ, als auch qualitativ vorangebracht werden – und dies über das ‚unfinished business‘ der MDGs hinaus.“
Seit dem Jahr 2000 hat sich die Welt sehr verändert. Dem trägt auch die Diskussion um die Ausgestaltung der SDGs Rechnung. Die SDGs sind weitaus umfassender und ambitionierter als die MDGs. Sie folgen dem Konzept der neuen globalen Partnerschaft, bauen auf gemeinsame Verantwortung und sind universell – sprich für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen –geltend. Ein Multi-Akteurs-Ansatz erhöht die Ownership; Effizienz, Rechenschaftspflicht und die Nachprüfbarkeit der Ergebnisse sollen erhöht werden.
„Auch den Veränderungen in den Entwicklungsländern muss Rechnung getragen werden“, so Frédéric Goyet, Senior Political Advisor des Direktors für Außenbeziehungen beim Globalen Fonds. So haben sich in den letzten Jahren viele arme Länder zu Ländern mittleren Einkommens entwickelt. Die wirtschaftliche Entwicklung einiger Länder sei so positiv, dass sie selbst fast zu Geberländern würden. „Auch bei der Finanzierung müssen diese neuen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden und die Partner müssen mehr Verantwortung übernehmen.“ Der Globale Fonds sieht seine Rolle in dem Prozess in der Finanzierung der Post 2015-Agenda – inklusive des Dialogs mit den Partnerländern zu deren Eigenbeitrag – sowie der Verbesserung von Monitoring und Evaluierung. „Wir brauchen klare Ziele und Indikatoren, um auch in Zukunft den Fortschritt in den vom Globalen Fonds unterstützten Programmen messen zu können“, so Goyet. Durch verlässliche Daten, Zahlen und Berichtsysteme soll die Wirksamkeit von Gesundheitsprogrammen und die Effizienz des Mitteleinsatzes erhöht werden. Der Globalen Fonds setzt auf ergebnisorientierte Finanzierung und kürzt Programmfinanzierungen, wenn die nationalen Regierungen ihre Haushalte nicht entsprechend der Vereinbarung erhöhen. „Wir setzen uns auch dafür ein, dass die nationalen Regierungen mehr Mittel zur Verfügung stellen.“
Neben der Stärkung von Eigenverantwortung, Ownership und der ausreichenden Finanzierung, ist bei der Ausgestaltung der SDGs ein sektorübergreifender Ansatz, der Akteure aus den verschiedensten Bereichen mit einbezieht, grundlegend. „Nachhaltige Entwicklung ist nicht nur Aufgabe des BMZ“, so Renate Bähr.
Die Diskussion um die Definition von Unterzielen im Bereich der Sexuellen und Reproduktiven Gesundheit und Rechte (SRGR) läuft noch. Hier zeigt sich insbesondere die Notwendigkeit, der Verwirklichung der Rechte von Frauen, Mädchen und Jugendlichen zum Durchbruch zu verhelfen. „Wir haben auch Verantwortung, den Partner gegenüber deutliche Kritik zu üben, wenn Menschenrechte und Frauenrechte nicht geachtet werden“, so Heidemarie Wieczorek-Zeul, Bundesministerin a.D. und Vizepräsidentin für Deutschland der Freunde des Globalen Fonds Europa. „Nur wenn die Rechte und Gesundheit von Frauen gestärkt werden, können wir nachhaltige Fortschritte in der Krankheitsbekämpfung machen.“
Sehr positiv bewertet wird der Ansatz bei der Ausarbeitung der SDGs. Der „positive Geist des Arbeitsprozesses der OWG gibt mir Hoffnung“, so Dr. Ingolf Dietrich. Der Prozess sei sehr partizipativ verlaufen, das Ownership groß. Zahlreiche staatliche und nicht-staatliche Akteure haben sich in den Prozess eingebracht und ihre Erfahrung und Expertise geteilt. Der Prozess hat in Deutschland viel Aufmerksamkeit erhalten und wird positiv wahrgenommen. „Wir haben uns bemüht, die deutsche Zivilgesellschaft frühzeitig mit einzubinden und im Prozess viel von ihr gelernt.“
Gesundheit hat in der Diskussion einen hohen Stellenwert. „Das Gesundheitsziel ist stark und insgesamt gut formuliert“, so Renate Bähr. „Nun gilt es abzuwarten, was davon im Synthesebericht bleibt und welche konkreten Maßnahmen und Indikatoren zur Überprüfung festgelegt werden.“
Wie essentiell Gesundheit als Voraussetzung menschlicher Entwicklung ist, zeigt aktuell die verheerende Ebola-Epidemie in Afrika. „Die Epidemie ist makabererweise ein Weckruf an uns und die Partnerländer, der uns wieder einmal vor Augen führt, wie wichtig starke, reaktionsfähige Gesundheitssysteme sind“, so Ines Perea, Leiterin des Referats „Strategie der HIV/AIDS-Bekämpfung“ im Bundesministerium für Gesundheit.
In die Stärkung von Gesundheitssytemen zu investieren wirkt auch präventiv. So ist die „Ausbreitung von Ebola in Ländern mit funktionsfähigen Gesundheitssystemen, wie z.B. Ruanda und Uganda, sehr unwahrscheinlich. Investitionen des Globalen Fonds in vielen afrikanischen Ländern haben dieses Risiko reduziert. In den von Ebola am stärksten betroffenen Ländern werden jetzt finanzielle Mittel umprogrammiert“, sagt Christoph Benn, Direktor für Außenbeziehungen beim Globalen Fonds. Epidemien stellen nicht nur in den betroffenen Ländern, sondern weltweit ein Sicherheitsrisiko dar.
Essentiell für die Ausgestaltung der SDGs und speziell den Gesundheitsbereich bleibt auch die Rolle Deutschlands bei der Finanzierung, das weit hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Die Gesundheitsausgaben entsprechen nicht der deutschen Wirtschaftskraft. Auch wenn Konsens herrscht, dass die Partnerländer mehr Eigenverantwortung übernehmen müssen, Gesundheit prioritär auf ihre Agenda schreiben sollten und mehr nationale Mittel mobilisieren müssen, ist der deutsche Beitrag insgesamt zu gering.
Eine mögliche Quelle zur Finanzierung von gesundheitsbezogener Entwicklungszusammenarbeit ist die Finanztransaktionssteuer (Financial Transaction Tax – FTT), deren Umsetzung derzeit von elf europäischen Ländern vorbereitet wird. Aktien, Anleihen und Derivate sollen besteuert und so zusätzliche Staatseinnahmen generiert werden. Uneinigkeit besteht noch in der konkreten Ausgestaltung. Akteure aus verschiedenen Bereichen haben hier für die Verwendung zwar schon Ansprüche angemeldet, dennoch würde die Steuer die Spielräume für den Entwicklungsetat erhöhen.
Dies bestätigt auch Volkmar Klein, Hauptberichterstatter im Deutschen Bundestag für den Einzelplan 23. Er würdigt die „hervorragende Arbeit“ des Globalen Fonds und unterstreicht seine Bedeutung für die Globale Gesundheit. Ihm sei die sehr große Bedeutung von Gesundheit als Menschenrecht und Grundlage von Entwicklung sowie die Notwendigkeit einer verstärkten finanziellen Unterstützung bewusst. Auch wenn die Partnerländer die Eigenanstrengungen noch verstärken müssen, sei insgesamt „mehr Geld nötig.“ Zwar gäbe es für den kommenden Haushalt noch keine „belastbaren Zahlen“ und die Ausgestaltung hänge von einer „Reihe von Unwägbarkeiten“ ab, dennoch sei er in Bezug auf den Beitrag für die Globale Gesundheit optimistisch.
Und dass Investitionen in den Gesundheitssektor sich lohnen, zeigt in eindrucksvoller Weise der Bericht „Global Health 2035“ der so genannten Lancet-Kommission von Dezember 2013. Die Gesundheitsparamenter zwischen den reichen und den ärmeren Ländern können sich durch zielgerichtete Investitionen positiv angleichen, die Schere wieder zusammengehen und Millionen von Todesfällen verhindert werden. Gleichzeitig stiegen der Wohlstand und die Wirtschaftskraft der jeweiligen Länder. „Wir haben hier eine riesige historische Chance, die wir nicht versäumen sollten“, appelliert Heidemarie Wieczorek-Zeul.
Fazit: Die thematische Konkurrenz ist gegenüber dem Jahr 2000 zweifellos größer geworden, der Gesundheits-Schwerpunkt bei den SDGs nicht mehr so groß wie noch bei den MDGs. Benn: „Gesundheit darf trotz der enormen Fortschritte, die wir hier in den letzten Jahren gemacht haben, nicht aus dem Fokus geraten. Wir müssen den Weg, den wir begonnen haben, auch zu Ende gehen.“
Hier stellt auch der G7-Gipfel, dessen Präsidentschaft Deutschland für 2015 übernommen hat, eine enorme Chance dar, an die Tradition von Heiligendamm muss angeknüpft werden: „Deutschland muss eine Vorreiterrolle übernehmen und Gesundheit muss eine prominente Stellung auf der Gipfel-Agenda haben. Auch die Frage der Ausgestaltung und Verwendung der Finanztransaktionssteuer muss diskutiert werden“, so Heidemarie Wieczorek-Zeul.