Ukraine: HIV-Prävention für Menschen auf der Flucht

Auf seinem Weg zur Arbeit kommt Vadym in Lwiw an vielen Gebäuden vorbei, dessen Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert sind. © The Global Fund/Vladyslav Musiienko 

 

Zu all den Nöten und Ängsten, die die russische Invasion in der Ukraine ausgelöst hat, kommt für Vadym noch eine große Sorge hinzu: Die vor einer HIV-Infektion. Vor Kriegsbeginn verzeichnete die Ukraine die zweitgrößten HIV-Epidemie in Osteuropa und Zentralasien. Wie viele Männer, die Sex mit Männern haben, schützt sich Vadym eigentlich mit vorbeugender „Prä-Expositions-Prophylaxe“ (PrEP). Doch der Krieg erschwert die Versorgung mit den schützenden Medikamenten. Im westukrainischen Lwiw haben zwei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nun mit Unterstützung des Globalen Fonds eine neue HIV-Anlaufstelle eröffnet, um aus ihrer Heimat vertriebene Menschen wie Vadym mit lebensrettenden Gesundheitsdiensten zu versorgen.

500 Kilogramm schwer waren die Bomben, die an Tag sieben der russischen Invasion in der Nähe von Vadyms Haus in Charkiw einschlagen. « Mein Haus bebte“, erinnert er sich. „Es war dunkel und die Flugzeuge flogen sehr tief.“ Noch in derselben Nacht beschloss er, gleich am nächsten Morgen zu fliehen – sofern er die Nacht überstehen würde.

Dass sich sein Leben innerhalb kürzester Zeit so grundlegend verändern könnte, hätte Vadym nicht für möglich gehalten. 15 Jahre lang arbeitete der gelernte Biotechnologe bei einem Verpackungsmaterialproduzenten in leitender Position. Und auch sonst war sein Leben ganz normal. « Ich hatte eine tolle Karriere, Freunde und Familie und ein eigenes Haus », erzählt er. Dann kam der Krieg.

Einschränkungen bei den HIV-Gesundheitsdiensten

Schätzungsweise 14 Millionen Menschen haben in der Ukraine ihre Heimat verlassen. Viele suchen im Westen des Landes nach Sicherheit, Stabilität und Schutz.  Auch Vadym kommt schließlich in Lwiw an. Doch die Unsicherheit bleibt, die Zukunft ist ungewiss. « Ein einziger Raketeneinschlag kann alles über den Haufen werfen und unser Leben binnen Sekunden auf den Kopf stellen », sagt Vadym.

Sorgen macht er sich auch, weil er wie viele andere auf die Einnahme von PrEP-Medikamenten angewiesen ist. Präexpositionsprophylaxe, kurz PrEP, ist ein Medikament, das Menschen einnehmen können, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. PrEP ist hochwirksam und sicher und senkt das Risiko, sich mit HIV zu infizieren, um 99 Prozent. Vor dem Krieg war die Ukraine das Land mit der zweitgrößten HIV-Epidemie in Osteuropa und Zentralasien. Die Infektionszahlen gingen jedoch kontinuierlich zurück, vor allem dank des starken ukrainischen Engagements, auch in der Zivilgesellschaft. Inzwischen wächst die Sorge, dass die durch den Krieg verursachten Vertreibungen, Einschränkungen der Versorgung und Traumata zu einem sprunghaften Anstieg der Neuinfektionen führen werden.

« Ich wusste nicht, wie oder wo ich PrEP bekommen würde und ich war unsicher, ob ich so ein Thema überhaupt ansprechen darf. » Das wurde zur zunehmenden Belastung für den jungen Mann, der vier Tage vor dem Krieg mit der präventiven Einnahme begonnen hatte. Doch er hatte Glück: Gerade noch rechtzeitig für ihn eröffnete in Lwiw eine neue HIV-Anlaufstelle, die Prävention, Tests und Behandlungen anbietet. Vadym war einer der ersten, die dort versorgt wurden.

Neueröffnung einer HIV-Anlaufstelle in Lwiw

Seit drei Jahren leitet Andrii Bogoslavets das Projekt “PrEP” bei Alliance Global, der landesweit größten Organisation, die sich um die Belange von Männern, die Sex mit Männern haben, kümmert. Gemeinsam mit der ukrainischen NGO Alliance for Public Health und mit Unterstützung des Globalen Fonds werden HIV-Präventions-, Test- und Behandlungsdienste angeboten. Zusammen setzt man sich auch dafür ein, Stigmatisierung und Diskriminierung anzugehen, denn sie sind oft der Grund dafür, dass Menschen die Angebote nicht wahrnehmen. Andrij sagt, ihm sei klar gewesen, dass der Krieg diese Arbeit beeinträchtigen würde: « Mein erster Gedanke war: Das ist das Ende. Wir werden alles verlieren, woran wir gearbeitet haben. »

Mitte März waren fünf der sechs ukrainischen PrEP-Kliniken, betrieben durch die Alliance Global nicht mehr arbeitsfähig. Zudem sahen Andrii und seine Kollegen den wachsenden Bedarf an PrEP im Westen des Landes, besonders in Lwiw, wohin viele Menschen geflüchtet waren. “Also haben wir beschlossen, dort einen Standort zu eröffnen, um uns um die Versorgung zu kümmern », erklärt Andrii. “Im westlichen Teil der Ukraine sind die Menschen sehr religiös, darum gab es dort keine Organisationen, die sich für Männer einsetzen, die Sex mit Männern haben.“

Betretung und medizinische Beratung – 7 Tage die Woche

Die zentral gelegene HIV-Anlaufstelle hat ein bescheidenes Schild an der Tür, auf dem « HIV-Test » steht. Dahinter betreuen der Sozialarbeiter Vitaliy und die medizinische Beraterin Liudmyla die Betroffenen an sieben Tagen in der Woche. Natürlich waren die ersten Monate des Krieges chaotisch, berichtet Vitaliy. Die Menschen, die in Lwiw ankamen, wussten nicht, wo sie Hilfe bekommen können. Aber bis April war die neue Anlaufstelle voll funktionsfähig.
« Dass wir hier in Lwiw in der Lage waren, rechtzeitig antiretrovirale Medikamente und PrEP anzubieten, hat dazu beigetragen, einen HIV-Ausbruch im Sommer zu verhindern », ist sich Vitaliy sicher. « Für Männer, die Sex mit Männern haben, ist es revolutionär, sich testen zu lassen und PrEP, Informationen, Unterstützung, Kondome und Gleitmittel zu erhalten – und das alles kostenlos und an einem Ort. » Das sieht auch Vadym so. Er ist froh, dass er nun wieder Zugang zu PrEP und Tests hat.

Inzwischen leitet er eine von der Alliance Global betriebene Unterkunft für Menschen aus der LGBTQI+-Gemeinschaft, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. « Alliance Global hat mein Leben zum Positiven verändert”, sagt Vadym, “vom ersten Kontakt, um mich testen zu lassen und PrEP zu bekommen, bis zu dem, was ich jetzt tue ».

Der Globale Fonds unterstützt in Zusammenarbeit mit PEPFAR (US President’s Emergency Plan for AIDS Relief) die Bereitstellung von Präexpositionsprophylaxe in der Ukraine.  
Allein in diesem Jahr haben in der Ukraine mehr als 7.400 Menschen erstmalig mit der Einnahme von PrEP begonnen, etwa 80 Prozent der Personen taten dies mit Unterstützung der Alliance for Public Health. Gemäß der nationalen PrEP-Strategie der Ukraine sollen bis Ende 2023 noch über 11.000 Menschen mit PrEP erreicht werden.

Gastbeitrag des Globalen Fonds